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Die Psyche des Menschen ist komplex und beeinflusst sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit. In einer immer schnelllebigeren Welt entstehen am digitalen Lagerfeuer neue Formen von Kommunikation – global vernetzt über die Datenautobahn. Was diese Veränderungen in Menschen auslöst, fasziniert Doktorandin Sara Alida Volkmer vom Center for Digital Transformation am TUM Campus Heilbronn. Die studierte Psychologin forscht im Bereich Social Media und analysiert die Beziehungen zwischen Nutzern und Influencern.

Als Teenager wurde ihr Funke für die menschliche Psyche gezündet: „In einem Wissenschaftsmagazin habe ich zum ersten Mal vom Milgram-Experiment gehört, das erklären sollte, warum Menschen im Zweiten Weltkrieg andere Menschen getötet und gefoltert haben.“ Dies wurde in einem psychologischen Experiment simuliert, bei dem „Lehrer“ ihren „Schülern“ bei Fehlern vermeintlich immer stärkere Stromstöße verabreichen konnten, teilweise angetrieben durch autoritäre Anweisungen Dritter. Von da an wollte sie verstehen, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. Ihrem aktuellen Forschungsschwerpunkt näherte sie sich dann in ihrer ersten akademischen Station.

Das Psychologiestudium begann sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In ihrer Bachelorarbeit kam dann die Verbindung zu sozialen Medien. Thema: Wie wirkt sich die Handynutzung auf das Wohlbefinden aus? Und schon befand sich die junge Frau im weiten Feld der Digitalisierung. Professor Martin Meißner, damals noch an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, suchte gerade Unterstützung für sein Team im Bereich Social Media. Der Weg der beiden hatte sich schon zuvor gekreuzt. Als er den Ruf auf die Professur für Digitales Marketing am TUM Campus Heilbronn annahm, zog sie mit in die Käthchenstadt: „Die Center-Struktur ist sehr inspirierend, hier kommen Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Disziplinen zusammen.“  

Schatten und Licht

Inspiriert wird sie immer wieder von den Entwicklungen moderner Technologien. Und das fängt schon beim klassischen Handy an: „Die Nutzung hilft den Menschen, aus der Isolation herauszukommen. Nehmen wir zum Beispiel eine queere Person in einem kleinen belarussischen Dorf – für die ist es natürlich total wertvoll, über Social Media Gleichgesinnte kennenzulernen.“ Andererseits birgt der Eskapismus auch Gefahren: „Handynutzung kann auch zur Sucht werden – die Menschen brauchen eine immer höhere Dosis, um die gleichen Effekte zu erleben.“ So begann die Forscherin, die Beziehungen in den sozialen Medien genauer zu analysieren.

„Ich unterscheide vier Ebenen: Soziale Medien können Inhalte synchron oder asynchron anbieten. Synchron bedeutet, dass wir in Echtzeit interagieren, zum Beispiel in Livestreams oder virtuellen Welten wie Fortnite. Asynchron ist die klassische Kommentarfunktion auf Instagram oder YouTube, wo Inhalte jederzeit abrufbar sind und Konsumenten dann darauf reagieren.“ Diese Kategorien beziehen sich auf den Kontext. Durch die heutigen Bezahlfunktionen gebe es aber auch zwei Kategorien für die Art der Monetarisierung: „Wir haben Mitgliedschaften und Geschenke.“ Während für Mitgliedschaften üblicherweise ein monatlicher Betrag fällig wird, sind Geschenke Einmalzahlungen, die der Follower seinem Idol gewährt.      

Mitgliedschaften sprechen für eine stärkere Bindung, allein schon durch die monatliche Monetarisierung, so die Psychologin. Für ihre Analyse hat sie die bisherigen Veröffentlichungen zum Thema durchforstet. Ihre Erkenntnisse: Der Großteil der Fachliteratur kommt aus asiatischen Ländern und beschäftigt sich mit Geschenken, Mitgliedschaften gibt es dort kaum. Anders im amerikanischen Raum: Hier gibt es einige Beobachtungsstudien zu Mitgliedschaften, vor allem von der Plattform Patreon. „Aber nur wenige Studien, die wirklich versuchen, quantitativ zu bestimmen, wie viele Mitgliedschaften es gibt und wie viel Influencer:innen damit verdienen. Es gibt nur sehr wenige Informationen, abgesehen von den Unternehmensinformationen, die wir von Patreon, OnlyFans, Substack oder YouTube haben“, erklärt Alida.

Reichweite zahlt sich aus

Eines zeigen die Zahlen aber auch: „Als normaler Mensch kann man damit kein Geld verdienen. Wenn man schon mehrere Millionen Follower auf Instagram hat, ist das natürlich viel einfacher.“ Ein Beispiel, das für Schlagzeilen sorgte: die Schauspielerin Bella Thorne.  Diese eröffnete im Jahr 2020 einen Kanal auf dem oft für pornografische Inhalte genutzten Dienst OnlyFans. Innerhalb von 24 Stunden verdiente sie damit über eine Million Euro. Nach zwei Wochen waren es bereits zwei Millionen. Das führte dazu, dass OnlyFans die Nutzungsbedingungen und die Art der Auszahlung änderte. Früher wurde sofort ausgezahlt, jetzt immer am Ende des Monats.

Wie verändern sich die Kraftverhältnisse bei steigender Reichweite? „In klassischen sozialen Medien haben wir die Beziehung zwischen Influencern und Followern. Die Nähe oder Freundschaft wird von Followern wahrgenommen, von Influencern aber nicht“, erklärt die Forscherin und fährt fort: „Jetzt haben wir durch die Mitgliedschaften eine Reciprocity in dieser Beziehung. Das heißt, die Follower können ganz klar sagen, welche Inhalte sie haben wollen.“ In der Regel gebe es hinter der Paywall auch eine Interaktionsmöglichkeit und die Kunden könnten dann Feedback zu den Videos geben und somit Einfluss auf die Themen nehmen.

Dem Zeitgeist entfliehen

Diese Machtverschiebung verändert laut Alida Volkmer auch die Inhalte der Posts: „Wenn genügend Follower monatlich zahlen, werden Influencer:innen von Algorithmen und Sponsoren unabhängiger und sie können Inhalte posten, die nicht unbedingt dem Zeitgeist entsprechen.“ Gleichzeitig entstehen neue Plattformen wie Mastodon. Laut Alida eine Gegenbewegung zur Allmacht von Besitzern sozialer Medien, wie etwa im Fall von Elon Musk und Twitter, heute X. Der Clou: Mastodon ist dezentral, jeder kann seine eigene Umwelt und Regeln festlegen. Genau diese Dezentralität wird das Hauptthema ihrer nächsten Forschung sein.

Ihr aktueller Artikel über bezahlte Mitgliedschaften und Geschenke landet bei Google Scholar auf den vorderen Plätzen: „Der Algorithmus von Google Scholar war sehr freundlich zu uns. Wenn man die Suchbegriffe Live Streaming Giving oder Live Streaming Social Media Giving eingibt, sind wir auf Platz 1 oder 2.“ Die junge Frau würde gerne in der Wissenschaft bleiben: „Die Themen fesseln mich, vor allem sozialpsychologische Komponenten wie Fake News und Desinformation.“ Aber es gibt auch einen Alternativplan: „Manchmal träume ich davon, ein eigenes soziales Medium zu gründen, in das ich all das einbringe, was ich gelernt habe“, sagt sie und lacht.

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