Reflexionsseismik ist ein leistungsfähiges Verfahren, um den Erduntergrund zerstörungsfrei zu erkunden, beispielsweise bei der Suche nach Öl-, Gas- oder Heißwasserreservoirs. Dabei werden Schallwellen in die Erde geschickt und die reflektierten Signale ausgewertet. Das ermöglicht Rückschlüsse auf Beschaffenheit und Struktur des Untergrunds und hilft Reservoirs zu finden. Die Technik funktioniert sowohl an Land als auch auf dem Meer, offshore im Bereich der Kontinentalsockel. Entscheidend für den Erfolg sind die Bearbeitung und die Analyse der gewonnenen Daten. Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern hat die Methodik für das Datenprozessing weiterentwickelt. Durch das verbesserte seismische Imaging entsteht aus den Rohdaten in einem mehrstufigen Prozess ein hochdetailliertes Abbild des Meeresbodens und seines komplexen Untergrunds.
Die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten nutzen das in Auftragsforschung entwickelte Verfahren SF GRT (Statoil Fraunhofer Generalisierte Radon Transformation). Nun haben Dr. Norman Ettrich, Mitglied der Bereichsleitung »High Performance Computing«, Teamleiter Seismik, und sein Team das Softwarepaket durch innovative ML-Algorithmen auf höhere Detailgenauigkeit getrimmt und gleichzeitig auf die zugrundeliegende Rechnerarchitektur optimiert. So entstehen verblüffend detaillierte und exakte Abbilder der Gesteinsstrukturen unter dem Meeresboden. Damit ist es möglich, Größe, Struktur und Form eines Öl- oder Gas-Reservoirs unter der Oberfläche auf wenige Meter genau zu ermitteln. Das Fraunhofer ITWM brachte bei diesem Projekt seine Kompetenzen in Geophysik, Mathematik und Informatik ein.
Spezialschiffe mit Hydrophonen sammeln Daten
Die Entdeckung neuer Erdöl- oder Gasvorkommen unter dem Meeresboden steht dabei keineswegs im Fokus. Norman Ettrich sagt: »Im Zuge der Abkehr von fossilen Energiequellen geht es gerade den europäischen Ländern immer weniger um die Entdeckung neuer Öl- oder Gasfelder. Sie wollen vielmehr bestehende oder bereits genutzte Reservoirs noch besser verstehen und durchleuchten.« Die Technologie eignet sich schließlich auch, um Gebiete zu finden, die sich für die unterirdische Einlagerung von Treibhausgasen wie CO2 eignen könnten.
Um den Meeresboden und seinen Untergrund zu erforschen, fahren Spezialschiffe oftmals mehrere Tausend Quadratkilometer große Gebiete in geraden Linien ab. Sie ziehen dabei Luftpulser und Hydrophone hinter sich her. In einem typischen Aufbau senden die Pulser alle 25 Meter einen Schallimpuls nach unten. Im Wasser pflanzt sich Schall mit einer Geschwindigkeit von 1480 Metern pro Sekunde fort und dringt dann in die Gesteinsschichten unter dem Meeresboden. Im Extremfall durchquert ein Schallimpuls 3000 Meter Wasser und wandert dann noch mal bis zu 11 000 Meter unter den Meeresboden.
Die reflektierten Signale werden auf der Meeresoberfläche von hochempfindlichen Hydrophonen registriert. »Auf diese Weise generiert jeder einzelne Impuls eine seismische Spur. Sie gibt Auskunft über die Laufzeit des Signals von der Aussendung bis zum Empfang. Die Laufzeit wird auch durch Beschaffenheit und Größe der jeweiligen Gesteinsschicht beeinflusst. Weil das Schallsignal von mehreren Hydrophonen empfangen wird, wird der Meeresboden auch aus mehreren Winkeln beleuchtet. Aus Stärke, Laufzeit und Winkel des Signals lassen sich schließlich Informationen über die Eigenschaften, den Aufbau und die Dicke der Gesteinsformationen ableiten. Dazu gehören auch Erkenntnisse darüber, ob etwa eine bestimmte Schicht sehr porös ist und die Poren beispielsweise mit Öl oder Gas gefüllt sind.
Datenvolumen im Terabyte-Bereich
Das Spezialschiff fährt bei einer Erkundung typischerweise hunderte Linien nacheinander im jeweiligen Untersuchungsgebiet ab. Pro gefahrener Linie gibt der Pulser tausende Schüsse ab, jeder Schuss wird als reflektiertes Signal von tausenden Hydrophonen aufgefangen. So entstehen am Ende mehrere 100 Millionen Datenspuren und ein Datenvolumen von vielen Terabyte. Um diese gigantische Menge zu bewältigen, haben die Informatik-Expertinnen und -Experten in Kaiserslautern spezielle Konzepte für das High Performance Computing (HPC) entwickelt (siehe Kasten).
Die Daten werden zunächst gefiltert, editiert und vorsortiert, dann wird durch das Verfahren der seismischen Migration der Untergrund abgebildet. Für die weitere qualitätsverbessernde Bearbeitung der Daten nach der Migration kommen immer häufiger vollautomatisch arbeitende ML-Algorithmen zum Einsatz. »Die besondere Leistung unserer durch ML-Algorithmen verbesserten Methodik besteht darin, dass sie bei der Auswertung der Daten keine Abstraktionen mehr eingeht, die am Ende zu Kompromissen bei der Genauigkeit der Analyse führen würden«, erklärt Ettrich. Am Ende steht das detailtreue visuelle Abbild des komplex strukturierten Untergrunds.
Reflexionsseismik hilft beim Planen von Windparks
Die Optimierungen machen es auch erstmals möglich, sogenannte Diffraktions- oder Störzonen zu ermitteln und im Abbild sichtbar zu machen. Hier handelt es sich um relativ kleine Zonen, in denen die Eigenschaften einer Gesteinsschicht sich plötzlich ändern wie etwa bei Klüftigkeit in eigentlich abdichtenden Schichten. »Die Folge wäre, dass das Erdöl- oder -gas längst entwichen ist. Oder dass die Schicht nicht dicht genug ist, um als CO2-Speicher zu dienen. Oder dass ein Heißwasserreservoir vorhanden ist und die Formation damit für Geothermie geeignet wäre«, erläutert Ettrich.
Das Erkennen solcher Diffraktionsobjekte durch Reflexionsseismik kann auch beim Platzieren von Windmasten in Offshore-Windkraftanlagen sehr nützlich sein. Die Fraunhofer-Technologie analysiert den Untergrund und entdeckt so auch Stellen, an denen ein besonders harter Stein das Einrammen eines Windmasts in den Meeresboden verhindern würde. So lassen sich schon im Vorfeld kostspielige Pannen vermeiden.
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