Nebennieren-Tumore wie das Phäochromozytom sind selten. Sie entstehen aus neuroendokrinen Zellen, die häufig auch Stresshormone produzieren. Typisch für einen Großteil solcher Tumore ist, dass ihre Zelloberflächen mit einer eindeutigen Zielstruktur – einem Rezeptor für das Hormon Somatostatin – gespickt sind. Das eröffnet den Fachleuten einen Weg, die erkrankten Zellen zu bekämpfen. Radioaktiv markierte Moleküle, sogenannte Radionuklid-Therapeutika, docken an den Rezeptoren an und bringen die Zellen durch die abgegebene Strahlung zum Absterben. Das umgebende gesunde Gewebe wird geschont.
Seltene Erkrankungen sind aufgrund kleiner Fallzahlen und entsprechend niedriger Gewinnerwartungen für die Pharmabranche kaum attraktiv. „Wir sehen hier die öffentlich geförderte Forschung in der Pflicht“, sagt Prof. Jens Pietzsch, Abteilungsleiter im HZDR-Institut für Radiopharmazeutische Krebsforschung. „Beim Phäochromozytom etwa wissen wir, dass sich das Wachstum mit einem geeigneten Radionuklid-Therapeutikum stoppen lässt. Und das umso nachhaltiger, je mehr Somatostatin-Typ-2-Rezeptoren die Tumorzellen produzieren. In unseren Experimenten konnten wir die Strahlendosis im Tumor verdoppeln“, beschreibt der Biologe ein wichtiges Ergebnis der kürzlich im Fachmagazin „Theranostics“ veröffentlichten Studie. Darüber hinaus haben die Dresdner Forscher*innen Gene identifiziert, die für das spätere Wiederanwachsen von Tumoren verantwortlich sein könnten. Ein wichtiger Schritt, um in Zukunft weitere Wirkstoffe für die Behandlung neuroendokriner Tumore zu entwickeln.
Patient*innen mit einem bösartigen Phäochromozytom könnten vom Einsatz des Radionuklid-Therapeutikums Lutetium-177-DOTATATE profitieren. Der Betastrahler Lutetium-177 setzt beim Zerfall Elektronen frei, die zum Zelltod führen. Bei diesem Prozess entsteht aber auch Energie in Form von Gammastrahlung, die mit dem Verfahren der Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie – abgekürzt SPECT von Single Photon Emission Computed Tomography – sichtbar gemacht werden kann. Nuklearmediziner*innen ermitteln aus den Bilddaten die im Tumor deponierte Strahlendosis. Je mehr sie über die individuellen Eigenschaften des Tumors, über seinen molekularen Fingerabdruck, wissen, umso höher ist die Chance einer wirksamen Therapie.
Die Individualität eines Tumors
Bevor ein inoperables Phäochromozytom behandelt wird, klärt deshalb eine genaue Diagnostik, ob eine ausreichende Menge an Rezeptoren für die Radionuklid-Therapie – auch Endoradiotherapie genannt – vorhanden ist. „Die Bildung des Somatostatin-Typ-2-Rezeptors ist bei diesen Tumoren sehr unterschiedlich. Manche produzieren ihn verstärkt, andere gar nicht. Unser Ziel war es, mithilfe zugelassener Arzneimittel die Anzahl der Rezeptoren im Vorfeld einer Endoradiotherapie zu erhöhen, damit in Zukunft mehr Patienten von der Behandlung profitieren können. Dank der Zulassung ist der Weg in die Klinik kurz“, erläutert Dr. Martin Ullrich, Biologe im Team von Jens Pietzsch.
Die Forscher wählten für die Vortherapie zwei Wirkstoffe aus: Valproinsäure und Decitabin. Valproinsäure wird vorrangig zur Behandlung von Epilepsie und Krampfanfällen eingesetzt, Decitabin ist indiziert zur Behandlung bestimmter Leukämien. Aus Zellversuchen war jedoch bekannt, dass beide Wirkstoffe auch die Produktion von Somatostatin-Rezeptoren ankurbeln können. Da sie die Erbinformationen auf der DNA nicht direkt verändern, sondern lediglich das Ablesen von Genen erleichtern, werden sie zu den sogenannten epigenetischen Wirkstoffen gezählt.
Um herauszufinden, ob die beiden Arzneimittel beim Phäochromozytom die erhoffte Wirkung erzielen, fanden zunächst Versuche mit Zellmaterial (in vitro) und aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse schließlich auch im Mausmodell statt. „Es waren unabhängige Versuche mit mehrarmigen Behandlungsregimes. Alle Untersuchungen wurden mehrfach wiederholt, mal mit einem Wirkstoff, mal mit beiden. Und natürlich mit unbehandelten Kontrollgruppen zum Vergleich“, erzählt Ullrich.
Das Ergebnis: Bei zweimaliger Gabe der epigenetischen Medikamente Valproinsäure und Decitabin wenige Tage vor der Endoradiotherapie verdoppelte sich die Anreicherung des Radionuklid-Therapeutikums Lutetium-177-DOTATATE – und somit auch die zielgenau deponierte Strahlendosis – im Tumor. Gemessen hat Ullrich dies mit der von ihm selbst für Mausmodelle ertüchtigten Kleintier-SPECT-Kamera am HZDR. Die Kombinationstherapie hält den Tumor demnach deutlich länger unter Kontrolle als dies bisher allein mit dem Radionuklid-Therapeutikum möglich war. Bevor die Kombination jedoch an Patient*innen eingesetzt werden kann, sind weitere präklinische Untersuchungen notwendig.
Wiederanwachsen des Tumors
Tumore entwickeln Resistenzen gegen die Effekte einer Bestrahlung, indem sie bestimmte Gene ein- oder abschalten. Das heißt, sie fangen auch nach einer Endoradiotherapie ab einem gewissen Zeitpunkt oft wieder an zu wachsen. Auf der Suche nach Strategien, mit denen sich diese Therapieresistenzen zukünftig weiter eindämmen lassen, schickten die HZDR-Forscher Gewebeproben der bestrahlten Tumore an Dr. Susan Richter vom Universitätsklinikum Dresden zur genetischen Analyse, die gemeinsam mit dem NCT/UCC (Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Dresden) durchgeführt wurde. Zurück kamen Listen mit über 55.000 Genen, sogenannte Transkriptome, die Ullrich durch aufwendige Datenanalysen und Recherchen auf eine überschaubare Liste reduzieren konnte. Sein Resümee: „Unter den Genen, die sich während der Endoradiotherapie wesentlich verändert haben, befinden sich einige Kandidaten, die als Zielmoleküle für radiosensibilisierende Kombinationstherapien infrage kommen.“
„Mit diesen brandneuen Daten wird’s jetzt richtig spannend“, freut sich Abteilungsleiter Pietzsch. „Wir betreten Neuland. Nun brauchen wir noch ein glückliches Händchen, um das richtige Gen herauszufischen.“ Der Plan: Mit dem Gen der Wahl in den nächsten Jahren erneut einen Experimentierzyklus zu absolvieren. „Dann könnte nach der Kombinationstherapie aus epigenetischen Medikamenten und Radionuklid-Therapeutikum, die hoffentlich bald in die Klinik überführt werden kann, ein weiterer Behandlungsschritt stehen: Wirkstoffe, welche die für das Wiederanwachsen des Tumors zuständigen Resistenz-Gene ausschalten“, blickt Pietzsch vorsichtig in die Zukunft. Außerdem erhoffen sich die Forscher, dass es dann vielleicht nicht nur beim seltenen Phäochromozytom, sondern auch bei anderen neuroendokrinen Tumoren gelingt, deren Strahlenresistenz zu überwinden.
Die Dresdner Forscher*innen werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Transregio 205 „The Adrenal: Central Relay in Health and Disease“ (Die Nebenniere: zentrales Relais für Gesundheit und Krankheit) gefördert, an dem Wissenschaftler*innen der Universität Würzburg, der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Hochschulmedizin und des Universitätsklinikums Dresden beteiligt sind – und das bereits in der zweiten Förderperiode.
Publikationen:
M. Ullrich, S. Richter, J. Liers, S. Drukewitz, M. Friedemann, J. Kotzerke, C. G. Ziegler, S. Nölting, K. Kopka, J. Pietzsch: „Epigenetic drugs in somatostatin type 2 receptor radionuclide theranostics and radiation transcriptomics in mouse pheochromocytoma models“. Theranostics, 2023 (DOI: 10.7150/thno.77918)
Link: https://www.thno.org/v13p0278.htm
S. Nölting, M. Ullrich, J. Pietzsch, C. G. Ziegler, G. Eisenhofer, A. Grossman, K. Pacak: „Current Management of Pheochromocytoma/Paraganglioma: A Guide for the Practicing Clinician in the Era of Precision Medicine”. Cancers, 2019 (DOI: 10.3390/cancers11101505)
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• Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
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