In modernen, agilen Produktionssystemen gibt es keine starre Fertigungslinie mehr. Vielmehr muss nach Eingang eines individuellen Produktionsauftrags festgelegt werden, welcher Auftrag wann an welcher Maschine bearbeitet wird. Dies erfordert eine Ablaufplanung, das sogenannte Scheduling.Zwei Verfahren haben sich dafür etabliert: prädiktives Scheduling und reaktives Scheduling. Kann man sie kombinieren? Daran forscht Prof. Dr. Nicole Stricker, Professorin für Operations Research und ingenieurwissenschaftliche Grundlagen im Studienbereich Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Aalen.
Effiziente Ablaufplanung und -steuerung: Die Mischung macht‘s
Stricker erklärt die zwei Verfahren gern anhand des Busfahrens. „Wir freuen uns, wenn der Bus pünktlich ist. Verspätungen durch Staus oder Personalausfälle sind jedoch keine Seltenheit. Prädiktives Scheduling bedeutet in diesem Beispiel, dass der Busfahrplan mit genügend Pufferzeit geplant wird, sodass er auch bei unerwarteten Abweichungen robust ist.“ Diese Methode habe jedoch auch ihre Nachteile. „Die Einbeziehung von Pufferzeiten, die in der Praxis nicht benötigt werden, ist ineffizient. Hier kann reaktives Scheduling eine wichtige Rolle spielen“, fährt die 37-Jährige fort. Dabei werden je nach Art der Störung spezifische Änderungen am Fahrplan vorgenommen, damit die Busse möglichst schnell wieder in Gang kommen. Darüber hinaus könnte reaktives Rescheduling sogar die Effizienz des Fahrplans unter „normalen“ Bedingungen verbessern. Wie wäre es beispielsweise, wenn der Bus jeden Tag zwei zusätzliche Runden fahren könnte?
KI als Enabler für eine effiziente Produktion
Das Team der Hochschule geht nun einen Schritt weiter und kombiniert das prädiktive und reaktive (Re-)Scheduling, um die Effizienz der industriellen Fertigung zu steigern. Der exemplarische Anwendungsfall: Die Produktionsplanung des Rohbaus von Autos. Dabei werden im Wesentlichen zwei Schweißarten und unterschiedlichste Dimensionen der Karosserieteile betrachtet. Bei größeren Störfällen geht es um die Frage, was schicke ich als Nächstes zu welcher Schweißstation – eine Tür oder eine schon halb fertige Karosserie? Diese Herausforderungen stehen im Mittelpunkt eines laufenden Forschungsprojekts von Stricker, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert.
Im neuartigen Ansatz werden zunächst die regulären Verfügbarkeiten der Maschinen inklusive Pufferzeiten für die Fertigung berücksichtigt und ein mathematisch optimaler Ablauf vorausgeplant. Bei längeren Störungen der Produktion wie Maschinenausfällen erfolgt jedoch eine flexible Umplanung. Bisher ist sie aufgrund der Komplexität allerdings nur schwer umzusetzen. Das Team am Zentrum Industrie 4.0 setzt daher auf Künstliche Intelligenz (KI), genauer gesagt „bestärkendes Lernen“ oder „Reinforcement Learning“. Dabei erhalten die autonomen und intelligenten Computersysteme, die die Produktionsmaschinen steuern, wie beim Sport ein Team-Training. Diese Systeme, die sogenannten „Agenten“, treffen auf Basis ihres – eingeschränkten – Wissens, ihrer Interaktionen mit der Produktionsumgebung und den Teamkollegen schnell Entscheidungen und setzen sie um. Dann erhalten die Agenten Rückmeldungen, und diese beeinflussen wiederum ihre zukünftigen Entscheidungen. Alle Agenten sollen lernen, die besten Entscheidungen für das gesamte Team zu treffen, also den effizientesten Ablauf für die gesamte Produktion umzusetzen − auch ohne, dass ihnen alle Informationen vorliegen.
Ausblick: Remanufacturing
Strickers Vorgehen hat großes Potenzial, gute betriebswirtschaftliche Lösungen zu erzielen. Seine besondere Stärke zeigt sich, wenn die Komplexität der Fertigung weiter ansteigt, beispielsweise durch Remanufacturing. Dieses nimmt zur Ressourcenschonung einen immer größeren Stellenwert ein. Gebrauchtprodukte sollen wieder aufgearbeitet werden. Doch wann kommt welches Produkt zurück? In welchem Zustand wird es sein? Welche Komponenten lassen sich in den Kreislauf zurückführen? All diese Fragen werden die Produktionsplanung und -steuerung in Zukunft noch schwieriger machen. „Durch die zunehmenden Bestrebungen in Richtung Nachhaltigkeit ergeben sich viele neue Herausforderungen“, ist sich die junge Forscherin sicher. „Sie erfordern neue Methoden, die mit stärkeren Unsicherheiten und individuellen Bedarfen umgehen können. Unser Forschungsvorhaben kann vielleicht auch einen wertvollen Beitrag dazu leisten.“
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