Überlebenskünstler dank extremer Anpassungsfähigkeit
Blaualgen, heute besser bekannt als Cyanobakterien, kennen viele Menschen hierzulande als Verursacher von Badeverboten im Sommer. Dann treten sie nämlich massenhaft in Flüssen und Seen auf und setzen unangenehme Giftstoffe frei. Weniger bekannt ist, dass Cyanobakterien auch das Land besiedeln. Dort sind sie – meist zusammen mit anderen mikroskopischen Algen und Bakterien – die ersten Mikroorganismen, die beispielsweise auf nacktem Boden wachsen. Dies gelingt ihnen zum einen wegen ihrer extremen Anpassungsfähigkeit. Und zum anderen können sie mit Sonnenlicht, Wasser und CO2 lebenswichtige Zucker aufbauen, die ihnen Energie bereitstellen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Cyanobakterien selbst in Wüsten und der Antarktis vorkommen.
Soweit mussten die Forschenden allerdings diesmal nicht reisen. Auch in Deutschland gibt es Standorte mit extremen ökologischen Herausforderungen. Dazu zählt die Kaliabraumhalde Schreyahn in Niedersachsen. Kali- und Steinsalze sind begehrte Bodenschätze, bei deren Abbau Wertstoffe wie Kaliumchlorid von der Pottasche getrennt werden. Unbrauchbare Salzrückstände türmen sich im Wendland zu teils riesigen weißen Halden auf. Nur wenige, hochspezialisierte Pflanzen und Mikroorganismen sind in der Lage, diese lebensfeindlichen Salzhalden als Habitat für sich zu erobern.
Das schafft auch die neu entdeckte Blaualgenart Cyanocohniella rudolphia, benannt nach dem alten Bergwerksschacht Rudolph.
Nur mit einer Prise Salz
Neue Algenarten von Extremstandorten zu entdecken, zu isolieren und zu beschreiben ist für die Kaiserslauterer Forschenden und deren Kolleg*innen aus Rostock nichts Neues. Eine bisher unbekannte Cyanobakterienart aus Deutschland zu erforschen, ist allerdings sehr ungewöhnlich.
Gerade im Falle dieser Blaualgen-Gruppe bedarf es großer Artenkenntnis, denn Cyanocohniella rudolphia durchläuft einen selten komplexen Lebenszyklus. Während Wachstum und Entwicklung ändert dieser Mikroorganismus immer wieder sein mikroskopisches Aussehen. Das führt nicht selten zu Verwechslungen mit ganz anderen Cyanobakterien-Arten. Bereits 2019 hatte Dr. Patrick Jung von der Hochschule Kaiserslautern eine weitere Art dieser Gattung am Strand einer niederländischen Insel entdeckt. Diese wird seitdem in der Algensammlung der Hochschule Kaiserlautern gehältert und eignet sich sehr gut für einen Vergleich. Weil beide Isolate aus salzhaltigen Umgebungen stammen, prüften die Forschenden das Wachstum beider Stämme unter unterschiedlichen Salzkonzentrationen. Und siehe da, am vitalsten waren sie bei der Zugabe von 4% Salz. Das ist ein wenig mehr als der typische Salzgehalt von Meerwasser. Und weil auch noch weitere Cyanocohniella-Arten aus Russland, Spanien oder Griechenland von salzhaltigen Standorten stammen, spekulieren die Forschenden, dass die Gattung Cyanocohniella vermutlich im Meer entstanden ist. Danach hat sie über eine bisher unbekannte Verbreitung – beispielsweise durch Wind – den Sprung an Land geschafft. Sie überlebt aber nur an Standorten mit erhöhtem Salzgehalt.
Wofür Blaualgen gut sind
In der Welt der Cyanobakterien ist eine derart klare Zuweisung einer ökologischen Nische eher die Ausnahme. Die Experimente der Expert*innen untermauern bisher ihre These. Die Entdeckung und Isolierung dieser salztoleranten Cyanobakterien eröffnet nun auch neue Wege für die Biotechnologie.
Lässt sich nämlich Meerwasser für die Anzucht von Cyanobakterien in Bioreaktoren nutzen, ist dies eine kostengünstige Alternative zu Trinkwasser.
Es gibt noch andere Anwendungen, beispielsweise in der kosmetischen Industrie. Um sich gegen den erhöhten Salzgehalt zu schützen, produzieren salztolerante Mikroorganismen organische Substanzen.
Diese wiederum wirken entzündungshemmend, wodurch sich auch das Hautbild mit sogenannten probiotischen Kosmetika verbessert.
Ein ganz anderes Einsatzgebiet ist die Bekämpfung der zunehmenden Wüstenbildung aufgrund der Erderwärmung. Durch die damit einhergehende Versalzung von Böden gehen wertvolle Agrarflächen verloren. Durch das künstliche Ausbringen von salztoleranten Blaualgen kann dieser negative Prozess gestoppt werden. Die filamentartigen Zellstrukturen stabilisieren nämlich den Boden. Diese Technik wird bereits in China erfolgreich angewendet. Die Gattung Cyanocohniella bietet hier ein großes bisher unerforschtes Potential. Sie bindet auch Luftstickstoff und führt diesem dem Boden zu.
Stickstoff ist ein Mangelstoff in vielen Böden. Seine Anreicherung im kargen Wüstenboden erleichtert anderen Mikroorganismen und höheren Pflanzen das Ansiedeln. Ein Vorteil, den die aktuell eingesetzten Blaualgen nicht haben.
Die Arbeit wurde von Dr. Patrick Jung und Dr. Michael Lakatos (Hochschule Kaiserslautern) zusammen mit Dr. Veronika Sommer und Prof. Dr. Ulf Karsten (Universität Rostock) im wissenschaftlichen Magazin Microorganisms im Rahmen der Spezialausgabe Integrative Phylogeny, Physiology and Ecology of Cyanobacteria veröffentlicht.
https://www.mdpi.com/2076-2607/10/5/968
Jung, P.; Sommer, V.; Karsten, U.; Lakatos, M. Salty Twins: Salt-Tolerance of Terrestrial Cyanocohniella Strains (Cyanobacteria) and Description of C. rudolphia sp. nov. Point towards a Marine Origin of the Genus and Terrestrial Long Distance Dispersal Patterns. Microorganisms 2022, 10, 968. https://doi.org/…
Hochschule Kaiserslautern
Schoenstraße 11
67659 Kaiserslautern
Telefon: +49 (631) 3724-0
Telefax: +49 (631) 3724-2105
http://www.hs-kl.de
Referat Hochschulkommunikation
Telefon: +49 (631) 3724-2525
E-Mail: werner.idstein@hs-kl.de