In der Chemie gibt es Strukturen, die sind ganz besonders stabil, etwa der sogenannte "Benzolring" aus sechs miteinander verbundenen Kohlenstoffatomen. Solche Ringe bilden die strukturelle Basis für Graphit und Graphen, sie kommen aber auch in vielen Farbstoffen vor – wie etwa dem Jeansfarbstoff Indigo und in vielen Medikamenten wie etwa Aspirin.
Wenn Chemiker solche Ringe gezielt aufbauen möchten, nutzten sie sogenannte Kopplungsreaktionen, die meist den Namen ihrer Erfinder tragen: etwa die Diels-Alder Reaktion, die Ullmann-Reaktion, die Bergman-Cyclisierung oder die Suzuki-Kupplung. Nun kommt eine weitere dazu, die noch keinen Namen trägt. Sie wurde von einem Team der Empa gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz entdeckt.
Alles im Trockenen
Die Forschenden der Empa verzichteten bei ihrer chemischen Synthese auf die Flüssigkeiten und hefteten die Ausgangsstoffe stattdessen im Ultrahochvakuum auf einer Goldoberfläche fest. Im tief heruntergekühlten Rastertunnelmikroskop lässt sich der Ausgangsstoff (Diisopropyl-p-Terphenyl) nochmal in aller Ruhe betrachten, bevor die Forscher die Heizung hochdrehen.
Heizung hochdrehen – Bewegung auf der Tanzfläche
Bei Raumtemperatur passiert noch nichts, aber bei etwa 200 Grad Celsius geschieht eine erstaunliche Reaktion, die in Flüssigkeiten nie ablaufen würde: die beiden Isopropyl-Gruppen – chemisch normalerweise völlig harmlos – verbinden sich zu einem Benzolring. Der Grund: durch die feste "Montage" auf der Gold-Oberfläche wird ein Wasserstoffatom zunächst gelockert und dann aus dem Molekül herausgelöst. So entstehen Kohlenstoff-Radikale, die auf neue Partner warten. Und auf der Gold-Oberfläche gibt es viele Partner. Bei 200 Grad Celsius vibrieren die Moleküle und drehen rasante Pirouetten – es herrscht ordentlich Bewegung auf der goldenen Tanzfläche. So fügt sich bald zusammen, was zusammengehört.
Und nochmal alles in Zeitlupe
Die Kuppelei auf der goldenen Fläche hat zweierlei Vorteile. Erstens ist kein Zwang nötig: Die Reaktion findet ohne vermittelnde Borsäuren oder wegfliegende Halogenatome statt. Es ist eine Verbindung nur unter Beteiligung von gesättigten Kohlenwasserstoffen. Die Ausgangsstoffe sind preisgünstig und einfach zu haben, und es fallen keine giftigen Nebenprodukte an.
Der zweite Vorteil: die Forscher können bei jedem Reaktionsschritt zuschauen – auch das ist bei der klassischen, "flüssigen" Chemie nicht möglich. Das Empa-Team dreht einfach die Heizung der Goldoberfläche schrittweise hoch. Bei 180 Grad Celsius haben die Moleküle erst einen Arm mit ihren Nachbarn verbunden, der zweite ragt noch frei in die Tanzfläche. Wer jetzt die Goldoberfläche in einem Rastertunnelmikroskop tief herunterkühlt, kann die Moleküle kurz vor der "Verheiratung" betrachten und "fotografieren". Genau das haben die Forscher gemacht. So kann der Reaktionsmechanismus quasi in Form von "Schnappschüssen" mitverfolgt werden.
Chancen für eine "neue" Chemie
Die Forscher und ihre Kolleginnen und Kollegen erwarten zweierlei Effekte, die aus der aktuellen Arbeit hervorgehen könnten. Zum einen könnte sich die "Schnappschuss-Methode" auch zur Aufklärung von ganz anderen Reaktionsmechanismen eignen. An der Empa werden Geräte entwickelt, die mittel ultrakurzer Laserpulse im Rastertunnelmikroskop solche chemischen Reaktionen Schritt für Schritt aufklären können. Das könnte zusätzliche Erkenntnisse über chemische Reaktionen bringen und bald manche alte Theorie ins Wanken bringen.
Die Forschungsergebnisse "aus dem Trockenen" könnten aber auch nützlich sein um die "flüssige" Chemie weiterzuentwickeln. Bislang stammten die meisten in der Literatur dokumentierten Reaktionen aus der klassischen Flüssigchemie und die Mikroskop-Forscher konnten diese Versuche nachstellen. In Zukunft könnte man bestimmte Reaktionen auch im Rastertunnelmikroskop entwerfen und später in die flüssige oder gasförmige Chemie übertragen.
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