Lennard Holst, Bereichsleiter Dienstleistungsmanagement am FIR an der RWTH Aachen und Maximilian Schacht, Leiter Center Smart Services, eröffneten den Tag mit einer Reise in die Zeit der ersten industriellen Revolution. Schon zu Zeiten der Dampfmaschine verbreiteten sich industrielle Services, etwa die systematische Wartung, und nutzenorientierte As-a-Service-Modelle hielten Einzug. So schuf James Watt Akzeptanz für die Ablösung der bis dahin im Bergbau eingesetzten Pferde mit dem Versprechen, dass der Betrieb einer Dampfmaschine bei gleicher Leistung deutlich günstiger sei als das Futter für die Pferde.
Das Prinzip, den Kunden zu verstehen und eine Lösung für sein Anliegen zu finden, ist auch heute noch Kern des Service und zentraler Diskussionspunkt der Fachveranstaltung. Was dies für einzelne Unternehmen bedeutet und wie sie ihren Service zukunftsfähig aufstellen, stand im Fokus des Themenfelds „Service-Excellence“. Auf dem Weg zum digitalen Lösungsanbieter gilt die Service-Excellence als einer der Türöffner in Richtung Wachstum durch Subscription. Um zur Service-Excellence zu gelangen, müssen Unternehmen die notwendigen Grundlagen schaffen. „Veränderung ist eine große Baustelle. Auch wenn die Service-KPIs signalisieren, dass es schon gut läuft, reicht das nicht. Märkte und interne Bedingungen sind permanent im Wandel. Wir müssen die Mitarbeitenden und unsere Kunden fragen, wo der Schuh drückt.“, fasst Rolf Urban, FANUC Europe GmbH, die Notwendigkeit einer gründlichen Analyse als ersten Schritt zusammen. Auch Frederick Birtel, PAUL WOLFF GmbH, bestätigt: „Man muss erst einmal die Grundlagen aufbauen und Perspektiven erkennen, um den einzelnen Etappen auf dem Weg zum exzellenten Service Rückenwind zu geben.“
Dieser Rückenwind ist wichtig für den kulturellen Wandel, der – darüber waren sich alle Referierenden einig – sowohl die größte Herausforderung als auch das entscheidende Stellrad für einen exzellenten Service ist. Um die absolute Ausrichtung am Kunden zu erreichen, müssen Unternehmen das gesamte Team mitnehmen, offen kommunizieren und einen ganzheitlichen Prozess gestalten, der auch Schnittstellen und angrenzende Bereiche einbindet, etwa Human Resources, die Entwicklung und die Logistik. Darüber hinaus ist die Weiterbildung der Mitarbeitenden ein wesentliches Element. „Kulturwandel ist nicht einfach. Bei uns gibt es eine Diskrepanz zwischen Technologieaffinität und Prozessablehnung, die bewältigt werden muss“, formuliert Thomas Leipold, AIXTRON SE die Herausforderungen eines technologiegetriebenen Unternehmens: „Wenn man Serviceorganisationen an die Hand nimmt und integriert, führt dies zu einer höheren Akzeptanz.“ „Nachdem der Status-quo aufgenommen, die Reife bestimmt und Potenziale identifiziert sind, müssen Verbesserungsmaßnahmen festgelegt und quantitativ bewertet werden“, fasst Lennard Holst in seiner Deep-dive Session die wesentlichen drei Schritte auf dem Weg zum Service-Champion zusammen und bestätigt damit die Erfahrungen seiner Vorredner.
Im Themenblock „Digitale Produkte“ wurde deutlich, dass es nicht länger nur um Technologien geht, sondern darum, das Angebot für den Kunden zu gestalten. Im Mittelpunkt stehen Fragen danach, für welchen Kunden welcher Mehrwert erbracht werden kann und wie sich daraus Erträge erwirtschaften lassen. So bietet etwa Danfoss A/S skalierbare Leistungen in Form von vordefinierten Paketen, die an den Zielen der Kunden orientiert sind und unterschiedliche Servicelevel mit verschiedenen Services beinhalten. „Ein Paket schafft Transparenz und überzeugt Kunden auch von Leistungen, die sie erst im weiteren Verlauf benötigen,“ erläutert Natalie Schnippering, Danfoss A/S. „Man muss differenziert genug sein, aber auch standardisiert, damit man skalierbar bleibt“, begründet auch Dr. Jana Frank, Henkel AG & Co. KGaA, die Notwendigkeit eines Modulbaukastens, mit dem verschiedene Parameter kundenspezifisch aufeinander abgestimmt werden können.
Konsens herrschte darüber, dass ein Mindchange erforderlich ist, um den Wert digitaler Produkte zu erschließen. „Kunden haben keinen Referenzpunkt für die Bewertung. Man muss den Mehrwert kommunizieren, um festzustellen, wieviel der Kunde zu zahlen bereit ist“, so Schnippering. Auch Stefan Kleinjung, Kelvion, bestätigt, dass es darauf ankommt Kunden zu verstehen, das Werteversprechen für die Nutzungsphase zu formulieren und anschließend festzustellen, was die Kunden bereit sind, dafür zu zahlen. Die Schneider Electric GmbH ergänzt ihre Sales-Mannschaft um ein Digital Sales-Team, das unabhängig von Umsatzvorgaben mit dem altbewährten Vertriebs- und Serviceteam zusammenarbeitet und den Kontakt zum Kunden intensiviert. Jochen Sadlers, Schneider Electric GmbH, spricht in diesem Zusammenhang von einer indirekten Transformation: „Wir wollen Leute, die Lust auf das Thema haben und andere mitziehen. Der persönliche Vor-Ort-Kontakt ist unser Game Changer. So lernen wir, den Kunden zu verstehen und schaffen Vertrauen und Akzeptanz für diese neue Art von Produkten.“
„Man muss im Team agieren“, ist auch Maximilian Schacht überzeugt, dass eine einzelne Person nicht gleichzeitig die Anforderungen an das Produkt- und Digitalgeschäft erfüllen kann. Eine Änderung der Kultur und Denkweise ist erforderlich. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen und den Kunden langfristig erfolgreich zu machen, nicht darum, möglichst schnell hohe Umsätze zu erzielen. „Von Features zu Feelings“, formuliert es Schacht in seiner Deep-dive-Session zur Vertriebsgestaltung
Der Service ist eine der essenziellen Komponenten von As-a-Service-Geschäftsmodellen. Erst mit kontinuierlich hohen Serviceleistungen können Anbieter und Anwender gleichermaßen profitieren. Wo Unternehmen heute stehen, was ein solches System attraktiv macht und ob es sich lohnt, hineinzuwachsen, war Schwerpunkt im dritten und letzten Themenblock „Subscription“.
Wie man ein analoges Geschäftsmodell, das den Zusatznutzen in Form eines physischen Produkts monetarisiert, auf den digitalen Wachstumspfad legt, zeigen Dr. Kourosh Bahrami und Dr. Jana Frank, Henkel AG & Co. KGaA. Eintrittskarte zur digitalen Verbindung mit dem Kunden ist das physische Produkt, in diesem Fall ein Klebstoff. „Indem wir datenbasiert gewonnenes Wissen über die Produktverwendung mit Spezifikationen und Qualitätsparametern verbinden, schaffen wir es, den Kunden zu verstehen, besser zu machen und letztendlich in Form von wiederkehrenden Geschäftsmodellen zu monetarisieren“, erläutern Bahrami und Frank ihre Strategie. Die DMG MORI Digital GmbH setzt bei dem Geschäftsmodell „Equipment-as-a-Service“ auf Pakete mit einer monatlichen Grundgebühr sowie Komponenten, für die nur bei Nutzung gezahlt wird. „PAYZR – Pay with zero risk“ entlastet und unterstützt unsere Kunden dabei, der Marktdynamik sowie schwankender Nachfrage zu entsprechen und gibt gleichzeitig Sicherheit“, so Asef Duratovic, DMG MORI Digital GmbH. „Weg von ‚Lösung sucht Problem‘, hin zu ‚Problem sucht Lösung‘“, beschreibt Stefan Kleinjung, Kelvion, in seinem Vortag „Heat Exchange as a Service – Der agile Weg zur Kreislaufwirtschaft“ die Herausforderung zukunftsfähiger Subscription-Modelle. Im Dreiklang aus Lösung, nutzenbasierter Abrechnung und Kreislaufwirtschaft verbindet Kelvion Produktserviceziele mit Ressourceneffizienz im Anlagenbetrieb sowie in der Materialführung und zeigt damit auch die Bedeutung von Subscription als zentralem Treiber der Nachhaltigkeit – ein Thema, dem auch Lennard Holst in seiner Deep-dive-Session „Fit4Green: Green-Service-Business als Chance für Profit & Wachstum“ nachgeht.
Bleibt abschließend die zentrale Frage nach der Risikoübernahme. „Wer sein Geschäftsmodell transformiert, der transformiert auch seine Risikosituation.“ Mit dieser Feststellung beleuchteten Dr. Andre Knoerchen, Munich RE, und Manuel Zimmermann, Funk Gruppe, die verschiedenen Risiko-Perspektiven von Anwendern und Anbietern. Der Risikoübertrag auf einen Versicherer entlastet die beteiligten Player und bietet der Versicherungsindustrie notwendige Wachstumsperspektiven, ist allerdings für den Versicherer sehr herausfordernd und nur mit größtem Verständnis für das Geschäftsmodell sowie auf ausreichender Datengrundlage möglich.
Zum 25-jährigen Jubiläum begeisterte das Dienstleistungsforum mit top-aktuellen Themen und Insights aus verschiedenen Industrien sowie Branchen. Der Rundum-Blick auf viele Facetten, Etappen und Herausforderungen auf dem Weg vom Produkt- zum Lösungsanbieter hielt viel Stoff für angeregte Diskussionen bereit und zeigte, dass es sich lohnt, die Reise weiter fortzusetzen. „Wir haben gelernt, dass Service-Excellence und digitale Produkte notwendig sind, um zum digitalen Lösungsanbieter zu kommen. Das Change-Management ist dabei eine der zentralen Herausforderungen, die Kundenzentrierung der Dreh- und Angelpunkt eines erfolgreichen industriellen Dienstleistungsgeschäfts. Ihr positives Feedback, das wir jetzt schon erhalten, zeigt uns, dass Sie aus diesem Tag viel Inspiration für die Weiterentwicklung Ihres Unternehmens mitnehmen können. Wir freuen uns schon auf die Fortsetzung beim 26. Aachener Dienstleistungsforum“, beschlossen Lennard Holst und Maximilian Schacht Deutschlands bedeutendste Service-Innovationsveranstaltung. Das 26. Aachener Dienstleistungsforum findet statt am 15.03.2023.
EXLCUSIVE-Partner 2022:
billwerk GmbH – CHG Meridian Industrial Solutions GmbH – GMS development – doubleSlash Net-Bussiness GmbH – Westphalia DataLab GmbH
Weitere Informationen:
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Das FIR ist eine gemeinnützige, branchenübergreifende Forschungs- und Ausbildungseinrichtung an der RWTH Aachen auf dem Gebiet der Betriebsorganisation, Informationslogistik und Unternehmens-IT mit dem Ziel, die organisationalen Grundlagen zu schaffen für das digital vernetzte industrielle Unternehmen der Zukunft.
Mit Erforschung und Transfer innovativer Lösungen leistet das FIR einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Dies erfolgt in der geeigneten Infrastruktur zur experimentellen Organisationsforschung methodisch fundiert, wissenschaftlich rigoros und unter direkter Beteiligung von Expert:innen aus der Wirtschaft. Im Zentrum der Betrachtung liegen die industriellen Verticals als Anwendungsfälle. Dies sind aktuell: Future Logistics, Smart Services und Smart Maintenance, Smart Commercial Buildings und Smart Mobility.
Das Institut begleitet Unternehmen, forscht, qualifiziert und lehrt in den Bereichen Dienstleistungsmanagement, Business-Transformation, Informationsmanagement und Produktionsmanagement. Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen fördert das FIR die Forschung und Entwicklung zugunsten kleiner, mittlerer und großer Unternehmen.
Seit 2010 leitet der Geschäftsführer des FIR, Professor Volker Stich, zudem das Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus. Im Cluster Smart Logistik ermöglicht das FIR eine bisher einzigartige Form der Zusammenarbeit zwischen Vertreter:innen aus Forschung und Industrie. Das FIR wird vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert, unterstützt als Johannes-Rau-Forschungsinstitut die Forschungsstrategie des Landes und beteiligt sich an den entsprechenden Landesclustern, um den Standort NRW zu stärken.
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