Der Import von Wasserstoff sowie von Syntheseprodukten wie Methanol und Ammoniak bildet eine wichtige Säule der deutschen und der europäischen Wasserstoffstrategie. Beide sehen staatliche Milliardeninvestitionen und hohe künftige Importanteile aus Ländern wie Russland, Kasachstan, Marokko, Saudi-Arabien und der Ukraine vor. Doch der Krieg in der Ukraine und das Streben nach mehr Energieunabhängigkeit gegenüber Russland wirft viele Fragen nach einer stabilen Energie- bzw. Wasserstoffversorgung auf. Die bisher geltende Gewissheit, dass Handel stets eine gegenseitige Abhängigkeit erzeugt, die im Zweifelsfall für den aus ökonomischer Sicht starken Westen geringer war als für seine Partner, ist vor der Energiekrise mit Russland kritisch zu reflektieren, genauso wie zu starke Abhängigkeiten von wenigen Ländern.
Vor diesem Hintergrund entstand das HyPat-Impulspapier »Krieg in der Ukraine: Auswirkungen auf die europäische und deutsche Importstrategie von Wasserstoff und Derivaten«, an dem Wissenschaftler:innen des Fraunhofer ISI, IEG und ISE, der Ruhr-Universität Bochum, dem IASS Potsdam, des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik sowie der ESA² GmbH beteiligt waren. Das Papier stellt bisherige strategische Annahmen auf den Prüfstand, diskutiert Ansätze für eine mögliche Neubewertung und möchte zur Stärkung der Resilienz im Bereich der Wasserstoffversorgung beitragen – schließlich werden die hier anstehenden strategischen Entscheidungen langfristige ökonomische und politische Auswirkungen haben.
Auf Basis vorangegangener Forschungsaktivitäten und -projekte aller beteiligter Forschungseinrichtungen leitet das Papier acht Impulse hinsichtlich des künftigen Wasserstoffimports nach Deutschland und in die EU ab:
1. Die Bewertung potenzieller Lieferländer sollte von klaren Kriterien geleitet und politische Risiken stärker gewichtet sein: Neben der technischen Verfügbarkeit und dem Preis sollte auch die Versorgungssouveränität stärker beachtet und Partnerländer mehr auf ihre systemische und politische Resilienz sowie Zuverlässigkeit hin bewertet werden. Zudem sollten geopolitische Überlegungen und wertegeleitete Handelsbeziehungen in der Wasserstoffstrategie eine wichtigere Rolle spielen.
2. Neubewertung von Lieferländern: Zu einer diversifizierten Wasserstoffversorgung könnte ein breites Netzwerk an Partnerländern in unterschiedlichen Weltregionen beitragen. In Frage kämen etwa die USA und Kanada, Chile, Brasilien, Argentinien oder Südafrika, Marokko, Ägypten und Namibia. Offen bleibt, wie große Mengen Wasserstoff in Zukunft über größere Distanzen transportiert und bezahlbar nach Europa gelangen können.
3. Eine Diversifizierung von Lieferländern für Wasserstoff führt zu höheren Importkosten und benötigt Zeit, schützt aber vor wirtschaftlichen Risiken durch Abhängigkeiten: Verflüssigung und Schiffstransport führen zwar zu ca. 25% höheren Gesamtkosten im Vergleich zum Pipelinetransport und der Aufbau der Produktions- und Transportkapazitäten benötigt Zeit – all dies trägt aber zur Diversifizierung und zum Schutz vor zu viel Marktmacht weniger Anbieter bei.
4. Die hohen Potenziale für die Erzeugung und den Transport von Wasserstoff bilden eine gute Grundlage für eine mögliche wirtschaftliche Entwicklung einer freien Nach-Kriegs-Ukraine: Das Land besitzt langfristig viel Potenzial zur erneuerbaren Herstellung von grünem Wasserstoff – potenziell bis 1400 TWh bis 2050 – und könnte damit zu einem verlässlichen Partner werden. Voraussetzung ist aber, dass die Ukraine ein freies, unbesetztes Land bleibt.
5. Die Nutzung eigener Potenziale zu Wasserstoffherstellung innerhalb der EU wird wichtiger: Für 2030 rechnet die EU mit einer Gesamtwasserstoffnachfrage in Höhe von 670 TWh bzw. 2250 TWh für 2050 – dem steht ein erschließbares Potenzial zur Wasserstofferzeugung von 5.000 bis 6.000 TWh gegenüber, insbesondere durch Photovoltaik und solarthermische Anlagen im Süden und Windkraftanlagen im Norden – damit könnte die EU ihre Wasserstoffnachfrage weitgehend selbst decken. Versorgungssicherheit ist gegenüber möglichen geringeren Importkosten abzuwägen.
6. Syntheseprodukte können aus wirtschaftlichen Gründen sowie unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit kurz- und mittelfristig attraktiver werden: Die Transportkosten von Methanol oder Ammoniak fallen wegen ihrer hohen Transportdichte und dem geringeren Energieaufwand beim Transport niedriger aus als bei Wasserstoff. Syntheseprodukte können tendenziell schneller in die EU und nach Deutschland transportiert werden und dort zur Versorgungssicherheit beitragen.
7. Hohe Erdgaspreise und ungewisse Versorgungslage erhöhen die Unsicherheiten für den Aufbau eines großen Wasserstoffsystems in Deutschland und der EU: Im Umbauprozess des Energiesystems kommt Erdgas und grauem Wasserstoff – also aus Erdgas erzeugtem Wasserstoff – bislang eine wichtige Rolle zu. Angesichts der ungewissen Preisentwicklung und Versorgungssicherheit kann dies auch den geplanten Ausbau des Wasserstoffsystems erschweren.
8. Ein harmonisiertes Vorgehen innerhalb der EU ist notwendig: Um in Europa auch beim Wasserstoff eine ähnlich starke Vernetzung wie schon bei Strom oder Erdgas zu erreichen, ist eine gemeinsame europäische Transport- und Speicherinfrastruktur-Strategie erforderlich, die eine resiliente Wasserstoffversorgung in ganz Europa gewährleistet. Die geopolitischen Herausforderungen, die sich aus der Krise in der Ukraine ergeben, sollten zudem als Impuls für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Energie- und Wasserstoffaußenpolitik dienen.
Die ausführliche Darstellung der acht Impulse kann im HyPat-Thesenpapier »Krieg in der Ukraine: Auswirkungen auf die europäische und deutsche Importstrategie von Wasserstoff und Derivaten« nachgelesen werden.
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