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Stammzellen aus dem Bioreaktor

Mithilfe gezüchteter Stammzellen sollen künftig neue Medikamente gegen bis-lang unheilbare Krankheiten wie etwa Alzheimer entwickelt werden. Im Fraunhofer-Projektzentrum für Stammzellprozesstechnik SPT wird an Verfahren für die Massenproduktion dieser Stammzellen gearbeitet. Dabei kommen neuartige Materialien zum Einsatz, um die Zellen künftig industriell mit hohen Qualitätsstandards herstellen zu können. Während der Messe MEDICA in Düsseldorf werden die Verfahren vom 15. bis zum 18. November 2021 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert (Halle 3, Stand E74).

Die Zellen eines heranwachsenden Embryos haben eine faszinierende Eigenschaft: Sie können sich in beliebige andere Zelltypen verwandeln – in Herzmuskelzellen, Nervenzellen und vieles mehr. Experten sprechen dabei von pluripotenten Stammzellen. Ist der Körper des Menschen fertig entwickelt, verlieren die Zellen ihre pluripotente Eigenschaft. Seit einigen Jahren jedoch lassen sich Körperzellen von Erwachsenen künstlich in den embryonalen Zustand zurückversetzen. Diese »induzierten pluripotenten Stammzellen« (iPS) sind ein wichtiges Werkzeug der Biotechnologen. So lassen sich kranken, erwachsenen Menschen Körperzellen entnehmen, in Herzmuskel- oder Nervenzellen verwandeln und daran dann Medikamente testen. Da iPS-Zellen das Erbgut des Patienten in sich tragen, lässt sich sehr gut feststellen, welche Medikamente bei ihm Wirkung zeigen könnten. Insofern haben iPS-Zellen ein großes Potenzial für die individualisierte Medizin. Das Problem besteht darin, dass sich iPS-Zellen und daraus abgeleitete Zellen bisher nicht in großem Maßstab in hoher Qualität herstellen lassen. Noch fehlt es an standardisierten Produktionslinien und Verfahren für die industrielle Fertigung, die zudem die regulatorischen Rahmenbedingungen erfüllen. Genau daran arbeitet das neue Fraunhofer-Projektzentrum für Stammzellprozesstechnik SPT in Würzburg, das gemeinsam vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT und Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC betrieben wird.

Oberflächen-Know-how und Biotechnologie verknüpfen

»Wir verknüpfen darin unsere biotechnologische Expertise mit materialwissenschaftlichem Know-how«, sagt Fraunhofer-SPT-Geschäftsführerin Dr. Julia Neubauer vom Fraunhofer IBMT. So verfügt das Fraunhofer ISC über profunde Erfahrung in der Entwicklung von Materialien und Oberflächenbeschichtungen. Diese können von den Biotechnologen des Fraunhofer IBMT jetzt im Projektzentrum für die Züchtung von Zellen optimiert werden. Weltweit verwenden Wissenschaftler heute meist harte glatte Oberflächen für die Kultivierung. Darauf konnten beispielsweise künstliche Herzmuskelzellen erzeugt werden, die tatsächlich kontrahieren. Doch verhalten sie sich bei genauerer Betrachtung anders als die Zellen in der gewohnten Körperumgebung. Sie reagieren zum Beispiel kaum auf Hormone wie Adrenalin, durch das sie eigentlich schneller schlagen müssten. Das Fraunhofer-SPT-Team schafft jetzt lebensechtere Kulturbedingungen, damit sich am Ende tatsächlich aus iPS-Zellen abgeleitetes Gewebe mit natürlichem Verhalten bildet. Statt harter Oberflächen kommen beispielsweise weiche Oberflächen-Beschichtungen aus Hydrogelen sowie dreidimensionale »biomimetische Strukturierungen« zum Einsatz, die sich mit modernen 3D-Druckverfahren herstellen lassen. Zusätzlich werden über biochemische Verfahren die Oberflächen so modifiziert, dass eine gewebespezifische Umgebung simuliert wird.

Besonders an der iPS-Zell-Kultivierung am Fraunhofer SPT ist der Einsatz von Bioreaktoren, in denen die Zellen frei in einer Nährlösung beziehungsweise auf den entsprechenden Trägerstrukturen schwebend heranwachsen. In diesen Reaktoren ließen sich die Zellen beispielsweise auf kleinen Mikro-Sphären aus Hydrogelen kultivieren, erläutern Julia Neubauer und der stellvertretende Fraunhofer-SPT-Leiter Marco Metzger vom Fraunhofer ISC. Auch sei es möglich, dass die Zellen zu kleinen dreidimensionalen Aggregaten heranwüchsen und so miteinander interagierten. Das entspreche dann bereits recht gut dem natürlichen Wachstum eines Gewebeverbands. Ein Vorteil der frei schwebenden iPS-Zellkultur ist auch, dass die Zellen stets optimal mit Nährstoffen oder Sauerstoff versorgt sind. Bei einem Zellverband auf einer zweidimensionalen Oberfläche hingegen sind die zuunterst liegenden Zellen oftmals weniger gut versorgt. Auch entspricht die Zellumgebung nicht den natürlichen Bedingungen.

Zellbank für die Forschung

Zusammen mit Pharmaunternehmen hat das Fraunhofer IBMT in den vergangenen Jahren die European Bank For Induced Pluripotent Stem Cells (EBISC) aufgebaut, eine einzigartige Biobank für iPS-Zellen. Diese Biobank verfügt über eine Vielzahl verschiedener iPS-Zell-Linien – etwa von der Parkinson- oder der früh einsetzenden Alzheimer-Erkrankung. Sie stellt die iPS-Zellen Firmen und Forschungsinstituten zur Verfügung. »Mithilfe dieser iPS-Zellen lassen sich Medikamente gegen verschiedene Krankheiten entwickeln und testen«, sagt Julia Neubauer. »Die Bank ist also zentral wichtig für die künftige Behandlung von Erkrankungen, die bislang nicht heilbar sind.« Während der Messe MEDICA wird das Fraunhofer-SPT-Team den Besuchern die neuen Kulturtechnologien, die Funktionsweise der Bioreaktoren und neue Oberflächen für die Kultivierung präsentieren (Halle 3, Stand E74).

Über den Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.

Die Fraunhofer-Gesellschaft mit Sitz in Deutschland ist die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung. Mit ihrer Fokussierung auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien sowie auf die Verwertung der Ergebnisse in Wirtschaft und Industrie spielt sie eine zentrale Rolle im Innovationsprozess. Als Wegweiser und Impulsgeber für innovative Entwicklungen und wissenschaftliche Exzellenz wirkt sie mit an der Gestaltung unserer Gesellschaft und unserer Zukunft. Die 1949 gegründete Organisation betreibt in Deutschland derzeit 75 Institute und Forschungseinrichtungen. Rund 29 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung, erarbeiten das jährliche Forschungsvolumen von 2,8 Milliarden Euro. Davon fallen 2,4 Milliarden Euro auf den Leistungsbereich Vertragsforschung.

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