Zweifelsohne hat die Corona-Krise die Digitalisierung in Deutschland vorangetrieben: Egal ob neue Kommunikationstools für das Arbeiten im Homeoffice, Telemedizin oder neue Wege der virtuellen Kundenansprache – viele Anwendungen mussten während der Hochphase der Pandemie direkt in die digitale Welt verlegt werden. Wenngleich dies insgesamt betrachtet besser funktionierte als erwartet, offenbarte die Krise gleichzeitig Deutschlands Schwachstellen bei der Digitalisierung.
Vor diesem Hintergrund nimmt der neue Policy Brief »Die Digitalisierung aus Innovationsperspektive« des Fraunhofer ISI für etliche Bereiche einen Faktencheck vor und benennt, wo Handlungsbedarfe bestehen. Anhand von acht Fragen setzen sich die Autor:innen unter anderem mit den Defiziten der digitalen Infrastruktur Deutschlands oder den Effekten der Digitalisierung auf die Energiewende auseinander oder untersuchen, wie sich vertrauenswürdige KI-Systeme praktisch umsetzen lassen.
Größeres Innovationspotenzial durch bessere Netze
So legt der Policy Brief dar, dass Deutschland international beim Ausbau seiner digitalen Infrastruktur hinterherhinkt: Denn im Gegensatz zu anderen Ländern wie Spanien (90%), Schweden (80%) oder Frankreich (70%) verfügen hierzulande nur etwas mehr als 13 Prozent aller Haushalte über die Möglichkeit, schnelle Glasfaser-Internetanschlüsse zu nutzen (Stand: November 2020). Leistungsfähige Netze sind aus Innovationssicht aber besonders wichtig: Wirtschaft und Gesellschaft profitieren von ihnen, sie setzen kreative Kräfte frei und ermöglichen digitale und soziale Innovationen verschiedenster Art. Deshalb muss die Politik den Breitbandausbau weiter vorantreiben, um Infrastrukturlücken möglichst schnell zu schließen, und die Telekommunikationsunternehmen müssen konsequenter auf Glasfaser setzen.
Künstliche Intelligenz für die Energiewende
Stimmen die infrastrukturellen Voraussetzungen, können die Digitalisierung und insbesondere KI-Systeme dabei helfen, Prozesse zu optimieren – etwa im Zuge der Energiewende, wie der Policy Brief zeigt: Im Energiesystem der Zukunft, das von vielen kleinen Solaranlagen, Stromspeichern und flexiblen Stromanwendungen wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeugen geprägt sein wird, kann KI etwa die Auslastung sowie die Zusammenführung von Energieerzeugung und -bedarf optimieren. Mit KI-Systemen lassen sich Entscheidungsgrundlagen für den Betrieb und die Organisation des Energiesystems erstellen und Energieinfrastrukturen planen. Voraussetzung ist aber, dass jederzeit genügend Daten zur Verfügung stehen, etwa von den Stromerzeugern oder den nachfragenden Haushalten.
»Vertrauenswürdige KI« als Qualitätsmerkmal europäischer KI-Systeme
Diese datengetriebene, automatisierte oder völlig autonome Funktionsweise von KI-Systemen wirft Fragen nach der Vertrauenswürdigkeit, der Privatsphäre und nach der Selbstbestimmung des Menschen auf, die der Policy Brief ebenfalls behandelt: So plädieren die Autor:innen für eine »vertrauenswürdige KI«, bei der menschliches Handeln Vorrang hat vor maschinellen Entscheidungen und die Systeme nicht zur Diskriminierung Einzelner führen. Das Label »vertrauenswürdige KI« kann zu einem zentralen Qualitätsmerkmal europäischer KI-Systeme werden, wenn es konsequent umgesetzt wird. Dazu sollten Informatiker:innen, Ingenieur:innen sowie Sozial- und Geisteswissenschaftler:innen interdisziplinär zusammenarbeiten und bereits in frühen Phasen des Entwicklungs- und Implementierungsprozesses von KI-Systemen solche Fragen mitdenken und in die Systeme integrieren. Woran es laut des Policy Briefs fehlt, sind Erfolgsbeispiele für entsprechende Umsetzungen – diese braucht es aber, um die Vorteile vertrauenswürdiger KI-Systeme zu demonstrieren und Nachahmer zu motivieren.
Dr. Bernd Beckert, der am Fraunhofer ISI das Themenfeld Künstliche Intelligenz leitet, äußert sich wie folgt zum Policy Paper: »Gerade beim Thema ‚vertrauenswürdige KI‘ zeigt sich der querliegende Charakter der Digitalisierung: Sie betrifft fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche und besitzt enorme Veränderungspotenziale. Wir sollten die Digitalisierung nicht einfach über uns ergehen lassen, sondern aktiv gestalten und sie zur Realisierung einer nachhaltigen Welt einsetzen.«
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