Derzeit wird fieberhaft nach einem Corona-Impfstoff gesucht. Eine Antikörperstudie, an der Ihr Team beteiligt war, lieferte nun Hinweise zur Immunität gegen das Virus. Welche Lehren können Sie aus den Ergebnissen ziehen?
Peter Wick: Bei der Studie mit 160 Personen, die einen bestätigten, aber eher milden COVID-19-Verlauf hatten, haben wir zusammen mit dem Zentrum für Labormedizin (ZLM) und dem kantonalen Gesundheitsdepartement in St. Gallen die Antikörperwerte im Blut über einen Zeitraum von zwölf Wochen analysiert. Beunruhigt hat uns, dass die Immunantwort auf das Virus bereits fünf Wochen nach der Infektion wieder abnahm. Wenn man also bereits zwei Monate nach einer Infektion wieder empfänglich für das Coronavirus wäre, wie unsere Daten nahelegen, kann von der oft zitierten «Herdenimmunität» keine Rede sein. Denn einen breiten Schutz der Bevölkerung aufgrund von Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben und dadurch immun sind, kann es dann nicht geben.
Was bedeutet das für eine künftige COVID-19-Impfung?
Diese Ergebnisse sind entscheidend für die COVID-Impfstrategie. Denn ein Impfstoff soll im Körper eine Immunreaktion hervorrufen, indem er eine Infektion simuliert und dadurch einen langanhaltenden Schutz erzeugt. Es ist also aufgrund unserer Daten denkbar, dass eine COVID-Impfung nur einen verhältnismässig kurzen Schutz bietet. Das ist aber natürlich auch abhängig von der Art des Impfstoffs und dem Intervall zwischen den Auffrischungsimpfungen.
Reagieren alle Infizierten gleichermassen mit einer relativ rasch abnehmenden Immunantwort?
Nein, das scheint nicht so zu sein. Wir konnten feststellen, dass der Trend zur sinkenden Immunreaktion bei Männern deutlicher ausgeprägt ist als bei Frauen. Die Kohorte bietet mit 160 Personen über einen Zeitraum von zwölf Wochen zwar einen grossen und langen Einblick ins Infektionsgeschehen, wenn man sie mit anderen Studien zu COVID-19 vergleicht. Für statistisch signifikante Eigenheiten von Subgruppen, also Alter, Geschlecht etc., müsste die Kohorte allerdings noch erheblich grösser sein.
Ist also eine Fortführung der Studie geplant?
Die jetzige Studie hat einen ersten Trend aufgezeigt. Nun wollen wir zusammen mit dem ZLM die Immunreaktionen genauer anschauen. Im Hinblick auf eine personalisierte Medizin ist das Untersuchen von Subpopulationen von Infizierten ein wichtiger Aspekt. Impfstrategien könnten also gegebenenfalls für unterschiedliche Patienten oder Patientengruppen anders aussehen, beispielsweise je nach Alter, Geschlecht oder Risikofaktoren. In einer Fortführung der Antikörperstudie wollen wir nun die Kohorte vergrössern und über einen längeren Zeitraum weitere Daten sammeln. Zudem soll auch ein weiterer Aspekt der Immunantwort beobachtet werden – die zelluläre Immunabwehr. Denn es gibt bereits Hinweise darauf, dass die dabei beteiligten Immunzellen und ihre Botenstoffe bei Männern und Frauen ebenfalls unterschiedlich auf das Coronavirus reagieren.
Die Empa engagiert sich stark innerhalb des ReMask-Konsortiums. Welche Fortschritte sind von Seiten der Maskenentwicklung zu erwarten?
Wir arbeiten – gemeinsam mit Industriepartnern, Klinikern und dem ReMask-Netzwerk – an einer neuen Generation von Schutzmaterialien. Darunter sind beispielsweise Masken mit einer antiviralen Beschichtung. Hier kommt eine ganze Palette von Möglichkeiten in Frage, die Viren inaktivieren oder sogar zerstören, wie etwa Nanobeschichtungen oder Oberflächenfunktionalisierungen. Aber es können auch andere Textilien mit Schutzfunktionen ausgerüstet werden. Antivirale Vorhänge, Kleidung für Gesundheitspersonal Kittel oder Sitzbezüge in Verkehrsmitteln sind bei unseren Überlegungen zu neuartigen Schutzmaterialien ebenfalls ein Thema. Dabei sind wir im ständigen Austausch mit unseren Industrie- und Forschungspartnern, um die Bedürfnisse für neuartige effiziente Lösungen zu identifizieren. So kann die Schweizer Industrie bei der Produkteentwicklung in der obersten Liga mit dabei sein.
Die Empa hat Empfehlungen für textile Community-Masken erarbeitet. Sind derartige waschbare Stoffmasken auch ökologisch sinnvoll?
Momentan planen wir, Stoff- und Einwegmasken in umfassenden Vergleichsanalysen zu untersuchen und Ökobilanzen zu erstellen. Denn es gibt wichtige Fragen über die eigentliche Wirksamkeit der Masken hinaus. Dazu gehören etwa Gesundheits- und Sicherheitsaspekte. Werden Fasern in der Waschmaschine abgerieben und gelangen Faserbruchstücke ins Abwasser? Atmen wir Nanopartikel ein, die sich von beschichteten Masken lösen? Diesen Fragen gehen wir gemeinsam mit dem «Technology and Society»-Labor der Empa nach. Dabei kommt uns auch unser bereits etabliertes Lungenmodel ALI zugute, kurz für «Air Liquid Interface Exposure System». Dank ALI können wir zum Beispiel untersuchen, wie Lungenzellen auf Partikel aus der Luft reagieren, so wie es bei der Atmung im Körper geschieht.
Lassen sich aus der jetzigen Pandemie auch positive Aspekte für die Forschung von morgen mitnehmen?
Wir konnten schon zu Beginn der Corona-Pandemie auf unsere erstklassige Forschungsinfrastruktur und unser grosses Netzwerk zurückgreifen, um neue Ideen möglichst rasch in praktische klinische Anwendungen zu überführen, so wie wir das als «Innovationsschmiede» täglich tun. Insgesamt muss man aber sagen, dass eine derartige Situation eine enorme Herausforderung für die Gesellschaft ist – aber auch eine Chance für die Forschungslandschaft. Es hat sich gezeigt, dass die Forschung in der Schweiz in der Krise zusammengerückt ist und flexibel auf die Bedürfnisse der Gesellschaft reagiert hat. Für unsere Forschung hat daraus ein Zuwachs an digitalen Lösungen resultiert und unser Bestreben gestärkt, mittels Big-Data-Analysen komplementär zu experimentellen Arbeiten und zu den Arbeiten unserer klinischen Partnern optimal agieren zu können.
Methodisch etablieren wir zudem derzeit ein Verfahren, das auch für künftige Anwendungen einsetzbar sein soll. Zum Beispiel müssen Hersteller von Schutzmaterialien ihre Produkte in der Entwicklungsphase auf die Schutzwirkung gegen Viren testen lassen. Bisher war das ein aufwändiges Verfahren, das nur in speziellen Labors durchgeführt werden konnte. Wir wollen diese Entwicklungsschritte beschleunigen, indem wir alternativen Methoden entwickeln, etwa inaktivierte, harmlose Viren, die mit Farbstoffsignalen ausgerüstet sind und die aufleuchten, sobald die Erreger von einer Beschichtung neutralisiert wurden. Ist diese Methode einmal etabliert, können Produkteentwickler ihre Materialien in einem frühen Stadium untersuchen, ohne extra ein Hochsicherheitslabor einschalten zu müssen. Und erst für die endgültige Zulassung werden dann Wirksamkeitstests mit infektiösen Viren nötig.
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