Faser-Kunststoff-Verbunde sind in der Luftfahrt bei zahlreichen Bauteilen bereits das Material der Wahl. So liegt beim Airbus A380 der Anteil an Verbundwerkstoffen bei 22 Prozent, beim modernen A350 XWB sind es bereits über 50 Prozent. Hier bestehen große Teile des Rumpfes und der Tragwerke aus dem ultraleichten CFK. Nur bei den Flugzeugrädern hat sich seit mehr als 30 Jahren wenig in Richtung Leichtbau bewegt. Dass hier einiges möglich sein wird, erläutert Jens-David Wacker, der das Forschungsprojekt am Fraunhofer LBF leitet: „Unser Institut konnte bereits für den Bereich Automotive belegen, dass sich durch die Substitution von Metall- durch CFK-Räder ein vielversprechendes Leichtbaupotential aufzeigt. Wenn es um die zuverlässige Auslegung von sicherheitskritischen Leichtbauteilen geht, verfügt das Fraunhofer LBF über langjährige Erfahrung und ist anerkannter Forschungspartner.“
Neues Innovationsfeld erschließen
Während des Start-, Lande-, und Rollvorgangs treten hohe statische, dynamische und thermische Beanspruchungen auf, die Flugzeugräder zuverlässig ertragen müssen. Bei herkömmlichen Modellen handelt es sich meist um Aluminiumschmiedekomponenten, die bis zu 100 Kilogramm wiegen können. Vor diesem Hintergrund stehen für die Darmstädter Wissenschaftler am Anfang des Entwicklungsprozesses für ein leichtes CFK-Bugrad zunächst die Definitionsphase und damit das Zusammentragen aller wichtigen Anforderungen. Dazu gehören unter anderem die Schnittstellen zum Reifen und zur Lagerung, die Bauraumspezifikationen und auftretende Beanspruchungen.
Anders als bei PKW-Rädern werden Flugzeugräder über eine Kegelrollenlageranordnung auf der Fahrwerksachse positioniert. Zudem werden Flugzeugräder mehrteilig ausgeführt, um die Montage des vergleichsweise steifen Reifens zu ermöglichen. Obwohl Bugräder im Gegensatz zu Hauptfahrwerksrädern nicht abgebremst werden, stellt sich der gebremste Rollvorgang als kritischer Lastfall für das Bugrad heraus. Aufgrund des hohen Bremsmoments am Hauptfahrwerk entstehen am Bugfahrwerk Abstützkräfte von bis zu 16 Tonnen pro Bugrad.
Den zweiten Schritt im Entwicklungsprozess bildet die Konzeptentwicklung. Für die Konzeptfindung einer optimalen Leichtbaustruktur untersuchen die Wissenschaftler dafür prinzipielle geometrische Konzepte und bewerten diese bezüglich ihrer Steifigkeit gegenüber den Belastungen Radiallast, seitliche Last, Reifendruck und überlagerten Lastfällen. Eine Topologieoptimierung des Systems bestätigt anschließend das Ergebnis.
Zehn Prototypen des Bugrades geplant
Bei der Entwicklung von Bauteilen aus Faserverbund ist eine Auseinandersetzung mit den möglichen Herstellverfahren und Materialien schon früh im Entwicklungsprozess wichtig, da diese entscheidende Fertigungsgrenzen mit sich bringen. „Für die Herstellung des Flugzeugrads streben wir das Resign Tranfer Molding (RTM) an. Dieses Verfahren bietet viele Vorteile hinsichtlich einer möglichen automatisierten Fertigung, der Erzeugung komplexer Bauteilgeometrien und der Realisierung hoher Laminatqualitäten“, erklärt Wacker.
Im Projekt sollen insgesamt zehn Prototypen des Flugzeugrads hergestellt werden. Zur Verifizierung der Bauteilauslegung wird das Fraunhofer LBF die Prototypen unter den für ein Flugzeugrad vorgesehenen Zertifizierungsversuchen testen.
Die EU fördert das Projekt „Development of a composite wheel” im Rahmenprogramm Clean Sky II (H2020/2014-2020) (Grant Agreement for Members No. AIR-GAM-2016-2017-05).
Das Fraunhofer LBF in Darmstadt steht seit 80 Jahren für Sicherheit und Zuverlässigkeit von Leichtbaustrukturen. Mit seinen Kompetenzen auf den Gebieten Betriebsfestigkeit, Systemzuverlässigkeit, Schwingungstechnik und Polymertechnik bietet das Institut heute Lösungen für wichtige Querschnittsthemen der Zukunft: Systemleichtbau, Funktionsintegration und cyberphysische maschinenbauliche Systeme. Im Fokus stehen dabei Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen wie Ressourceneffizienz und Emissionsreduktion sowie Future Mobility. Umfassende Kompetenzen von der Datenerfassung im realen betrieblichen Feldeinsatz über die Datenanalyse und die Dateninterpretation bis hin zur Ableitung von konkreten Maßnahmen zur Auslegung und Verbesserung von Material-, Bauteil- und Systemeigenschaften bilden dafür die Grundlage. Die Auftraggeber kommen u.a. aus dem Automobil- und Nutzfahrzeugbau, der Schienenverkehrstechnik, dem Schiffbau, der Luftfahrt, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energietechnik, der Elektrotechnik, der Medizintechnik sowie der chemischen Industrie. Sie profitieren von ausgewiesener Expertise der über 400 Mitarbeiter und modernster Technologie auf mehr als 11 560 Quadratmetern Labor- und Versuchsfläche.
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