Im Mikro- und Nanokosmos wirken physikalische Gesetzmäßigkeiten ganz anders als im Makrobereich, der für uns sichtbaren Welt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Gecko, der an der Zimmerdecke laufen kann. Möglich machen dies Millionen feiner Härchen an den Zehen des Reptils, die an den Enden rund hundert spatelförmige Verbreiterungen aufweisen. Diese winzigen Strukturen werden durch molekulare Kräfte, die van der Waals-Kräfte, von der Oberfläche, angezogen, mit der sie in Kontakt stehen.
Um diesen Kosmos zu erforschen, bedarf es anderer Vorgehensweisen. An der TUK befassen sich viele Forschungsgruppen schon lange mit den dafür notwendigen Ultrapräzisions- und Mikrotechnologien. Sie ermöglichen es unter anderem, neuartige Mikrostrukturen zu erstellen und damit Oberflächen von Bauteilen mit besseren Eigenschaften auszustatten. „Wir sind in diesem Forschungsfeld sehr interdisziplinär ausgerichtet. Das ist das Markenzeichen unseres Standorts“, sagt Professor Dr. Jan C. Aurich, der den Lehrstuhl für Fertigungstechnik und Betriebsorganisation innehat und Sprecher des LPME ist. „Wir verbinden dabei Methoden aus Maschinenbau und Verfahrenstechnik sowie Physik mit Simulationen und Visualisierungen aus der Informatik.“
Am LPME soll diese Zusammenarbeit künftig unter einem Dach gebündelt werden. „Wir werden interdisziplinär in den vier Forschungsschwerpunkten Herstellung, Charakterisierung, Modellierung und Simulation sowie Anwendung arbeiten“, fährt Aurich fort. Dabei geht es unter anderem darum, neuartige Mikrowerkzeuge zu entwickeln, mit denen Mikrostrukturen produziert werden können, oder auch mikrostrukturierte Werkstoffe und Beschichtungen für Oberflächen aus ultrafeinen Partikeln herzustellen und zu untersuchen. „Damit ist es uns etwa möglich, physikalische Effekte wie Reibung und Adhäsion zu verbessern und Bauteile vor chemischen, thermischen und mechanischen Belastungen zu schützen“, sagt Aurich. Insgesamt erhoffen sich die Forscher ein besseres Verständnis über das Zusammenspiel von Reibung, Verschleiß und Schmierung auf der Mikroebene. „Die Kenntnisse können wir nutzen, um solche Effekte bei Bauteilen zu verringern und die Lebensdauer von Maschinenelementen zu erhöhen“, nennt Aurich als Beispiel.
Zudem sollen neue Simulationen und Datenanalysen helfen, die Eigenschaften der Strukturen zu erfassen und sie zu verbessern. „Wir werden effiziente Algorithmen benötigen, um die Prozesse auf molekularer und atomarer Ebene durchzurechnen“, fährt der Professor fort. Hierbei spielen eine Fülle von Parametern und physikalische Wechselwirkungen eine Rolle. „Dabei werden sehr große Datenmengen anfallen. Auch um sie gut zu visualisieren, werden wir neue Verfahren benötigen“, sagt Aurich.
Darüber hinaus wollen die Forscher die Techniken und Werkstoffe in die industrielle Anwendung überführen. Zur Einsatz kommen solche Technologien heutzutage zum Beispiel schon bei Spiegeln von Radioteleskopen, Mikro-3D-Druckern und sogenannten Gyrosensoren in Smartphones und Drohnen, die Gleichgewicht, Lage und Beschleunigung im Blick haben.
Im neuen Forschungsgebäude werden zehn Arbeitsgruppen aus Informatik sowie Maschinenbau und Verfahrenstechnik federführend forschen. Beteiligt sind zudem fünf weitere Gruppen aus den beiden Fachbereichen sowie aus der Physik. Zudem werden fünf Nachwuchsgruppen aus Maschinenbau und Verfahrenstechnik hier Platz finden. Baubeginn ist 2019. Das dreistöckige Forschungsgebäude bietet auf rund 3.100 Quadratmetern Raum für 85 Arbeitsplätze in Laboren und Büros. Auch die Anschaffung neuer Großgeräte ist geplant.
„Die Zusammenarbeit von Maschinenbau und Verfahrenstechnik mit der Informatik an der TUK ist seit Jahren hervorragend, wie unsere zahlreichen interdisziplinären Forschungsprojekte belegen. Eine solch enge Kooperation zwischen diesen Disziplinen ist selten. International zählen wir in diesem Forschungsbereich zur Spitze. Das neue Forschungsgebäude gibt uns die Möglichkeit, uns hier weiter zu positionieren“, sagt Professor Dr. Arnd Poetzsch-Heffter, Vizepräsident für Forschung und Technologie. Universitätspräsident Professor Dr. Helmut J. Schmidt zeigt sich ebenfalls erfreut: „Ich gratuliere Professor Aurich und allen Beteiligten zu diesem großen Erfolg. Zugleich möchte ich mich auch beim Land für seine Unterstützung durch die Forschungsinitiative Rheinland-Pfalz bedanken. Sie hat es ermöglicht, dass wir unsere Forschung in diesem Bereich stark ausbauen und weiter intensivieren konnten und somit den Grundstein für diesen Forschungsneubau legen konnten.“
„Das Land Rheinland-Pfalz fördert im Rahmen der Forschungsinitiative den Forschungsschwerpunkt Advanced Materials Engineering und das Forschungszentrum Center for Mathematical and Computational Modelling an der Technischen Universität Kaiserslautern seit 2008. Die Technische Universität Kaiserslautern hat diese strukturbildende Förderung auch genutzt, um sich zu einem anerkannten Zentrum in der Ultrapräzisions- und Mikrotechnologie zu entwickeln“, betont Wissenschaftsminister Prof. Dr. Konrad Wolf. „Der Wissenschaftsrat hebt in seinen Empfehlungen hervor, dass mit dem Forschungsbau für LPME eine interdisziplinäre Forschungsinfrastruktur geschaffen wird, die bundesweit einmalig ist und weltweit an nur sehr wenigen Standorten zur Verfügung steht. Ich freue mich über diese Einschätzung des Wissenschaftsrats und gratuliere vor allem den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu diesem großartigen Erfolg, der das Engagement und den Einsatz der vergangenen Jahre belohnt“.
Ultrapräzisions- und Mikrotechnologien an der TUK
Im Rahmen verschiedener Programme forscht die TUK bereits auf diesem Gebiet, zum Beispiel im Landesforschungsschwerpunkt „Advanced Materials Engineering“, der seit 2008 vom Land Rheinland-Pfalz gefördert wird. Auch der Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Bauteiloberflächen: Morphologie auf der Mikroskala“ hat die Thematik im Blick, ebenso wie das von der DFG geförderte internationale Graduiertenkolleg „Physical Modeling for Virtual Manufacturing Systems and Processes“. Auch das Landesforschungszentrum Center for Mathematical and Computational Modelling (CM)2 und das Center for Physical Modeling and Simulation in Production, Process, and Materials Engineering (CePMS) der Carl-Zeiss-Stiftung widmen sich diesem Themenfeld.
Hintergrund:
Der Wissenschaftsrat hat heute (27. April) seine „Empfehlungen zur Förderung von Forschungsbauten (2019)“ verabschiedet. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) wird am 29. Juni auf der Grundlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates endgültig über die Aufnahme von Forschungsbauten in die Förderung entscheiden.
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